Viele Menschen, die auf der Suche nach ihrer Berufung sind, sagen mir, dass sie sehr vielfältig interessiert sind. Sie bringen viele Fähigkeiten und Talente mit und mindestens ebenso viele Dinge begeistern sie.  Es fällt ihnen schwer, sich auf eine Sache festzulegen, denn dann haben sie gleichzeitig das Gefühl etwas anderes damit aufzugeben. Ich verstehe das gut und habe mich auch immer wieder gefragt, welche gute Frage ich diesen Menschen in meinen Coachings mit auf den Weg geben kann. Ein Buch und die Geschichte einer Frau, die ich in Neuseeland kennenlernen durfte, haben mich auf eine Lösung gebracht.

Carol Marshall wirkt wie eine junge Studentin, als sie vor eine kleine Gruppe von Frauen tritt, um über ihr Projekt zu sprechen. Sie ist klein und zierlich, spricht mit einer angenehm weichen Stimme, hat die Hände vor dem Körper leicht ineinander gelegt und strahlt von innen heraus. Sie stellt sich vor und sagt, dass sie mit ihrem Mann und ihren drei! Kindern in Ma's Place wohnt. Ma's Place? frage ich mich. Als hätte sie meine stumme Frage gehört, folgt sogleich die Antwort. Es ist ein Ort in einer rund 15.000 Einwohner zählenden Gemeinde, an dem junge Mütter - häufig Alleinerziehende - oder Familien ganz praktische Tipps für den Alltag bekommen, sich mal einen Moment ausruhen oder mit anderen Müttern austauschen können. Sie lernen gesund kochen, Bedürftige erhalten Kinderkleidung und -ausrüstung, sie stillen gemeinsam oder nehmen an künstlerischen Workshops teil während ihre Kinder beaufsichtigt werden. Drei Zimmer stehen Müttern mit Kindern in Notsituationen zur Verfügung. In einem früheren Kinderheim hat Carol "Ma's Place" eingerichtet, ihre Küche ist gleichzeitig die der Gemeinschaft. Die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Freitag von 10 bis 14:30 Uhr. Gäste und ehrenamtliche Helfer sind herzlich willkommen. Nach nur fünf Monaten ist Ma's Place bereits zu einer festen Einrichtung in der Gemeinde geworden. Und Carol hat noch weitere Pläne, wie sie uns erklärt.



Was hat die Geschichte von Carol Marshall mit "Berufung finden" zu tun?

Gemäß der Aussage von Aristoteles "Wo die Talente und die Bedürfnisse der Welt sich kreuzen, liegt unsere Berufung." hat Carol in ihrem Beruf als Hebamme gesehen, wo die Bedürfnisse der jungen Mütter liegen. Weder Frauenhäuser noch große Einrichtung geben den häufig ganz allein dastehenden jungen Müttern oder Familien einen Halt. Sie wolle mit ihrer kleinen Familie denjenigen, denen es im Leben nicht so gutgeht, einen Familienersatz bieten. Und so hat sie durch das bei anderen entdeckte Bedürfnis ihre eigene Leidenschaft und ihre Mission entdeckt. Das hat in ihr so viel Energie freigesetzt, dass sie Gemeinde, Kirche und weitere Institutionen für ihre Idee gewinnen konnte. Das ehemalige Kinderheim hat sie mit ihrem Mann gekauft. Ma's Place deckt sich alleine von Spenden und vom Verkauf zweier wunderbarer Kinderbücher, die sie selbst geschrieben und illustriert hat. Ein weiteres Talent konnte sie so gut im Rahmen ihrer Berufung einbringen.



Der 8. Weg

Kurz vor der Begegnung mit Carol Marshall habe ich das Buch "Der 8. Weg" von Stephen R. Covey begonnen zu lesen. Hierin geht es u.a. ebenfalls darum seine "innere Stimme" zu finden und als Vorbild andere dazu zu ermutigen, ebenfalls ihrer "inneren Stimme" zu folgen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, sich empathisch in andere hineinzuversetzen, ihre Bedürfnisse herauszufinden und ihnen mit den eigenen Fähigkeiten und Talenten eine Lösung zu bieten. Laut Covey lässt sich das an jedem Arbeitsplatz verwirklichen, auch ohne Führungskraft zu sein. Jeder, der behauptet, er wäre Opfer der Umstände und könne an seinem Platz nicht für eine Veränderung sorgen, entgegnet er: Folge deiner Berufung und zeige dort Initiative, wo es dein Arbeitsplatz und dein Einflussbereich zulassen, mit allen Fähigkeiten, die in dir stecken. Lasse nicht deine Vergangenheit Geisel deiner Zukunft werden.

Bedürfnisse ermitteln

  • Welchen Mangel stellen Sie in Ihrem Umfeld/in der Welt fest?
  • Welche Bedürfnisse stellen Sie z.B. bei Ihren Kunden, Ihrem Chef oder Ihren Kollegen fest?
  • Und was möchten Sie damit zu tun haben? 
  • Welche Art von Fragen richten andere häufiger an Sie?
  • Wobei oder womit können Sie andere entlasten, was ihnen sogar leicht fällt und Spaß macht? 
  • Was würden sie konkret wie besser machen?

Die Möglichkeit, sich über die Bedürfnisse anderer der eigenen Berufung zu nähern, empfinde ich als äußerst vielversprechend. Denn dadurch werden viele Interessen befriedigt und die eigenen Talente häufig erst erkennbar.